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Tages-Anzeiger, Zürich, 19.12.1998    

Vielfältige Klanglandschaft

Überraschend: die Uraufführung "Weisse Bewegung" von Alfred Zimmerlin.


Von Thomas Meyer

 
Rasche Tastenläufe, Celloemphase mit Vibrato und gleich darauf Stimmgabeln, die auf dem Fell der Pauke einschwingen. Oder: ein liegender Celloklang, Sprünge am Klavier sowie ein Holzschlegel, der sich auf der Pauke an einem Holzbrett reibt. Ungewöhnliche Kombinationen: zwei Klangmomente aus "Weisse Bewegung", dem neuen Stück von Alfred Zimmerlin, das im Fabriktheater uraufgeführt wurde - mit Kompetenz und Einsatz von der Cellistin Cécile Olshausen, dem Schlagzeuger Christoph Brunner und der Pianistin Petra Ronner, die den Auftrag erteilt hatte. Zwei Klangmomente, die in ihrer Vielfalt alles andeuten und doch offenlassen, wie's gleich darauf weitergehen könnte. Zimmerlins Musik ist voll von Wechseln und Überraschungen.

 
Das eigene Menü

TA-Lesern muss man ihn nicht vorstellen. Er schrieb bei uns Kritiken, bevor es ihn zur Konkurrenz an der Falkenstrasse zog. Aber ich will weiter vorne beginnen: Eigentlich mochten wir damals diese neotonale, neoromantische Musik nicht, die aus Deutschland kam und deren bereits wichtigster Exponent Wolfgang Rihm war. Wir glaubten Ende der 70er Jahre einigermassen zu wissen, was Neue Musik zu sein hatte, erarbeiteten die Grundlagen der Avantgarde in den Seminarien von Hans Ulrich Lehmann und zweifelten wenig, in welche Richtung das weitergehen müsste. Rihm war in unseren Ohren ein Irrweg. Alfred Zimmerlin freilich überraschte mich damals schon mit einem Cello-Klavier-Duo, in dem er die Klangerfahrungen aus Rihms Musik ausprobierte und ins eigene Menü einbezog - nicht mit letztem Ernst vielleicht, aber durchaus mit Neugier. Diesem Pfad ist er zwar nicht weiter gefolgt, aber er kündigte damit an, dass er sich nicht festlegen lassen wolle und dass er sich selber auch nicht festlege.
Der Umgang als improvisierender Musiker hat ihm weitere Seiten eröffnet, so dass nie ein Stiletikett drohte. Aber er hätte es auch abgelehnt: Dachte er nicht damals schon darüber nach, dass sich einzelne Komponisten wie Luciano Berio etwa bestimmte, deutlich wiedererkennbare Merkmale zulegten? Das tat er nicht, obwohl er doch seinen Stil oder besser: seinen Weg gefunden hat. Es ist ein Weg in die Vielfalt, ins Nichtfixierbare.


Feinheiten

orte für diese Musik zu finden ist nicht einfach. Sie ordnet sich weder den Trends ein, noch folgt sie eindeutig Mustern wie "meditativ", "verspielt", "minimalistisch", "reduziert" oder "stringent". Vieles davon trifft man in dieser Musik an, aber kaum glaubt man's einem Klangmoment anheften zu können, widerlegt einen der nächste. Diese Klänge lassen sich nicht auf Worte und Begriffe ein, sie ziehen weiter in der Zeit, überlassen anderen das Feld, bevor sie verbraucht sind. Das macht das Hinhören nicht leicht, regt es aber doch an, denn diese Musik ist voller Feinheiten und neuer Klänge und überhäuft einen auf der anderen Seite doch nicht mit Komplexitäten. Die Dinge liegen relativ offen da, die Frage des Kritikers ist eher: Warum folgen sie sich so? Wäre eine andere Anordnung möglich? Vielleicht. Der Begriff der Strenge funktioniert nicht bei solch heterogenem Material.
Und doch entsteht nicht bloss ein Sammelsurium von Klangreizen, dennoch wirkt's nicht beliebig, sondern ist versammelt zu einem Bild. Die "Weisse Bewegung" des Stücks alterniert im Innern mit dem "Stillstand". Zustände werden klar spürbar, aber man mag auch Landschaften drin hören, Winde oder das Bimmeln an einer Barriere etwa. Alfred Zimmerlin hat in den letzten Jahren gelegentlich Tonbandpassagen in seine Werke eingeblendet, die Natur in die Musik hineintransferierten. Diesen Part hat er diesmal vor allem dem Schlagzeug zugedacht. Dahinter steckt, so bilde ich mir ein, etwas von jener schönsten Vision, die man von Kunst haben kann, einer Kunst, hinter der ihr Autor verschwindet. Er geht als Teil in seine Landschaft ein.

 
Personality-Show

Aber auch da muss sofort widersprochen werden. Und Alfred Zimmerlin zeigt gleich, dass es noch anderes gibt. Er spielt mit bei der Personality-Show und stellt sie doch auf den Kopf. Quasi als Zugabe war ab Band eine "musique concrète" zu hören: das witzige, vor 12 Jahren mit Banjo und Geräuschen realisierte Stück "and from alabama from anywhere". Und weil so ein Tonband allein immer etwas distanziert klingt, präsentierte sich der Komponist gleich auch als countryhafter Banjospieler. Einen Ton trug er dazu allerdings nicht bei. Er blickte bloss mit regloser Miene ins Publikum.

 

 
Copyright © Thomas Meyer, TA-Media AG

 
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